Christine Reiterlechner im Interview
Wie bist Du zum Tango gekommen und was hat Dich auf die Idee gebracht Milongas,
Practicas und eigene Tango-Workshops, Kurse, etc. in Wien zu organisieren?
Wenn es ein Veranstalterpaar oder eine Gruppe gibt, die zusammen eine
Practica oder Milonga macht, sollten sie sich wirklich gut verstehen - wenn es
untereinander Wickel gibt und diese an die Oberfläche kommen, vertreibt das die
Leute. Schwierig ist auch, wenn die Szene insgesamt klein ist und es mehrere
Veranstaltungen am selben Tag gibt. Das kann von fad sein bis zur
Unfinanzierbarkeit des Raumes gehen.
Persönliche Wiener Tangochronik – Anfänge, erste Events, Resümee Anfänge Insgesamt umfasste die Tango-Szene von 1985 in Wien ca. 15 Personen. Ich
bildete mit meinem Tanz-Partner und zwei, drei anderen Paaren eine Gruppe – wir
machten Performances bei linken, feministischen und privaten Festen. Inhalt war
das auf die Spitze treiben, durch den Kakao ziehen und Aufbrechen sämtlicher
Klischees, die es in Bezug auf Geschlechterrollen gibt – dafür eignet sich der
Tango hervorragend und es hat mächtig Spaß gemacht. Ich war 1989 das erste Mal in Buenos Aires, zu dem Zeitpunkt war dort
mit Tango nicht viel los, was zu einem Gutteil auf das Konto der bis 1983
herrschenden Militärdiktatur in Argentinien ging. Der Tango war im Aussterben
begriffen, es gab kaum junge Leute, die ihn praktizierten. Es gibt aus der Zeit
ein Merian-Sonderheft, in dem das auch beschrieben ist. Ich landete bei Eduardo
und Gloria Arquimbau, einem der Paare, die den Tango noch betrieben. Ich
bemerkte, dass das Tango-Tanzen offenbar ganz anders geht als ich es gelernt
hatte – was eine narzisstische Kränkung war, denn ich musste einsehen, dass ich
überhaupt nichts konnte. Diese Wende für mich fiel zusammen mit der Wende für
den Tango. Die Tourneen von „Tango Argentino“ durch die USA und Europa brachten einen Aufschwung des Tangos nicht nur
in Europa sondern auch in Buenos Aires. Der Beitrag dieser Show zur
Wiederbelebung des Tangos war sehr hoch, wenn nicht unverzichtbar. Gloria und
Eduardo tanzten auch mit. In Wien war „Tango Argentino“ im Frühjahr 1989 im
Raimundtheater zu sehen, kurz nach meiner Rückkehr aus Buenos Aires. Erste Events Wir begannen, argentinische Lehrer einzuladen, bzw. mit ihnen zu
arbeiten, wenn sie in Wien waren (z.B. anlässlich der Show „Tango Pasión“),
darunter Gustavo Naveira, Roberto Herrera und Vanina Bilous, Alejandra Mantiňan
und Gustavo Russo, Fabiana Jarma. Auch Hernan Toledo begann, argentinische
Lehrer einzuladen: darunter Eduardo Arquimbau, Rafael Ramirez und Jorge Luciano
Rios – die beiden letzteren sind ja dann in Wien geblieben. Bea Henzl hat
Leandro Palou und Andrea Missé, die hervorragende Lehrer waren, nach Wien
gebracht. So gab es nach und nach mehr Angebot und die Qualität des Tanzes und
die Menge der Leute, die sich für Tango Argentino interessierten, begann
langsam zu steigen. Regelmäßige Milongas gab es wenige, eine zeitlang mittwochs
einmal im Monat im Andino von Hernan, eine zeitlang dienstags in einem
Kellerlokal namens „Down Under“ von Bea, einmal im Monat donnerstags im
Backyard des Reigen von uns... Unser
eigener Übungsabend am Freitag wuchs sich langsam zur Practica für alle aus,
die aber de facto auch eine Milonga war. Die spätere Samstagsmilonga (1998) von
Alejandra Rogel Alberdi, Nicolás
Bertucci und Christine Hellmer im Depot des alten Museumsquartiers war die
erste größere Milonga, zu der die TänzerInnen von allen Tango-Inseln kamen –
das werden dann alles zusammen so 50, 60 Leute gewesen sein. 1998 unterrichtete
Pablo Veron im Studio 0.1. Eine weitere Initiative, alle Szenen
zusammenzuführen, ging 2000 von Michael Zinner aus – wir organisierten gemeinsam
drei Abende im Palais Liechtenstein „Palais Tango“, da werden es dann wohl
schon an die 100 Leute gewesen sein. Ebenfalls 2000 veranstaltete Beate Wist
das erste Tango-Pfingst-Festival „Tango Paeonia“, anlässlich dessen Eduardo
Capussi und Mariana Flores erstmals in Wien waren. Simon Suchocki gab die
Wiener Tango-Zeitschrift „Contratiempo“ heraus. Das erste Tango-Festival im
RadioKulturhaus fand auch 2000 statt. Im selben Jahr kam Jorge Bosicovich nach Wien.
Es gab mal eine zeitlang eine Milonga im „Titanic“ von Laura Suarez, mal eine auf
dem Schiff am Donaukanal oder in den Ringstraßengalerien von Jutta Blöchle, usw., dann das cheek to cheek (von 2000 bis
2004), ab 2001 die Samstagsmilonga in der Bäckerstraße, seit 2003 die Sonntagsmilonga
von Alejandra.... Die Color-Tango-Milonga im Volksgarten von Laura gab es von 2001
bis 2007. Resümee Zwistigkeiten gibt es auch darüber, wessen Tango denn der Richtige sei.
Das betrifft sowohl den Tanz als auch die Musik. Ich selbst habe eine Position
zur Qualität und ich beobachte auch, dass die, die sich länger mit Tango
Argentino beschäftigen sich meistens doch in eine ähnliche Richtung entwickeln
– das hat nichts mit Milonguero versus Salon verus Tango Nuevo zu tun. Das sind
verschiede Arten sich tänzerisch auszudrücken, die durchaus nebeneinander
bestehen können, aber innerhalb von Stilrichtungen gibt es eben Besseres und
weniger Gutes. Ich erinnere mich aber auch an meine Anfänge, wo ich den Tango
völlig respektlos und ohne großartige Kenntnisse über Irgendwas einfach
genommen und z.B. in unseren Performances verwendet habe – und schön war’s. Nur
gab es damals in Wien niemanden, der/die es besser wusste – daher konnte sich auch
niemand aufregen. Und es ist ja auch etwas Schönes am Tango, dass er niemandem
und somit jedem/jeder gehört, dass es keine offiziellen Reglements, keine
Tangopolizei gibt. Das ist doch wunderbar, dass eine vor über hundert Jahren auf
der anderen Seite der Erdkugel in einem deklassierten Milieu entstandene (Sub)Kulturleistung,
sich dieses anarchistische Element bis in die Bildungsbürgerschichten Europas
im 21. Jahrhundert erhält. Klar ist für mich, dass Tango Argentino nicht im Schnellverfahren
erlernt werden kann, weder was den Tanz noch was Dj-ing betrifft; so schön es
ist, es steckt - auch - viel Arbeit dahinter und nur wer sich diese Arbeit
antut, wird eines Tages ein guter Tänzer/eine gute Tänzerin oder DJ/ane. Klar ist auch, dass der „Markt“ in Wien so klein ist, dass zu viel
Konkurrenz ihm insgesamt schlecht bekommt. Zarte Pflänzchen sollte man eher
schützen, hegen und pflegen als dem rauhen Wind aussetzen. Insofern wäre eine
ehrlich gemeinte Kooperation zwischen den Veranstaltern wünschenswert, ist aber
meiner Erfahrung nach schwierig zu erreichen, weil wenige im Dienste der Sache auch
mal zurückstecken. Ein sehr positives Beispiel aus der jüngsten Zeit war das
Konzert von Ciudad Baigón, das ist wirklich von allen Veranstaltern beworben worden und
dementsprechend waren dann auch die Leute aus allen Szenen da. So was finde ich
wünschenswert, weil es letztlich der ganzen Szene nützt, wenn es gute Events
gibt – gute Events sind lustig für uns und ziehen auch neue Leute an. Wie
ausgeglichen erlebst du die Beziehung zwischen dir als Tangoveranstalter und
den Menschen der Tangoszene bezüglich des Themas: Geben und Nehmen?
(finanziell, ideell ..) Ich habe allerdings nur einmal einen größeren Event veranstaltet -
Workshops und Tango-Fest mit Roberto Herrera und Natascha Poberaj. Das war viel
Arbeit, ist aber gut gelungen, es ist sich alles mit dem Geld ausgegangen und
die Leute waren zufrieden und haben mir das auch gesagt. Ich weiß aber auch, dass Tango-Veranstalter immer wieder damit
konfrontiert sind, dass sie sich einen Haxen ausreißen und dafür Undank und
Missgunst ernten, mitunter sogar Geld draufzahlen, ich selbst habe diese
Erfahrung aber nicht.
gute, tanzbare Musik in den Milongas respektvollen Umgang der Veranstalter miteinander.
Was hast
Du aus Deiner Arbeit für den Tango gelernt? Sehr viel habe ich durchs Unterrichten gelernt und lerne ich noch immer.
Unterrichten ist allgemein keine Einbahnstraße, man beschäftigt sich ganz
anders mit einem Thema, man bekommt feed back, stellt die eigenen Positionen
ständig in Frage, kommt zu neuen Schlüssen, tut neue Quellen auf. Tango
unterrichten bringt einen unmittelbaren Kontakt zur ganzen Person mit sich, für
LehrerInnen und SchülerInnen. Es ist auch schön zu erleben, dass wirklich jeder
und jede in der Lage ist, es zu lernen. Es ist keine Frage der „Begabung“,
sondern eine der Bereitschaft sich zu öffnen und des Einsatzes. Ich habe durch den Tango viele Menschen kennen gelernt, denen ich sonst
sicher nie begegnet wäre und die mein Leben auf vielfältige Art bereichert
haben. Ich war wegen dem Tango öfter in Buenos Aires, eine Stadt, die für mich
eine Liebe geworden ist – eine „Liebe auf den zweiten Blick“; was auch schon
eine interessante Lernerfahrung ist, weil ich ja eigentlich eher der Idee der
„Liebe auf den ersten Blick“ anhänge.
Der historische Beitrag von Tango Almagro zur Wiener Tangoszene ist
sicher hoch (siehe „Persönliche Wiener Tangochronik“). Sich über die anderen Veranstalter zu äußern, ist ein Spiel mit dem
Feuer, aber ich werde das so lösen, dass ich ein paar besonders lobend hervorhebe,
weil es mir ein Bedürfnis ist und gleich dazuschreibe, dass das die Verdienste
der anderen in keiner Weise schmälern soll. Wenn jemand nicht ausgesprochen
destruktiv vorgeht – und das tut derzeit meiner Wahrnehmung nach niemand der Veranstalter
und Veranstalterinnen in Wien – bringt jeder und jede was Eigenes ein und
bereichert die Szene. Laura Suarez hat mit dem Volksgarten die erste dauerhafte, tolle
Location aufgestellt, es tut mir heute noch leid, dass es die
Volksgarten-Milonga nicht mehr gibt. Von den aktuellen Tangoveranstaltern schätze ich den Beitrag von Herta
und Marius Spannbauer sehr hoch ein – es ist wunderbar, so eine Location wie
die „Tangobar“ zum Tanzen zu haben oder ab und zu einen Ball. Christoph Lanners Beitrag zur Musikwahrnehmung in Wien finde ich auch
sehr wichtig. SaTho-Tango Wien
|